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Lydia und Philippi

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2018-09-24 2018-09-24 24.09.2018

Philippi ist ein Katzensprung von dem Heimatdorf meines Vaters entfernt, somit ist der Besuch dieser Ausgrabungsstätte ein Muss auf dem Weg nach Kavalla. In diesem Jahr allerdings war der kleine Ausflug nach Lydia, benannt nach der Purpurkrämerin, welche eigentlich aus Kleinasien stammte, etwas Besonderes. Seit 2016 stand diese Kultstätte nebst Philippi auf der Liste des Weltkulturerbes. 

Für morgens machten wir uns auf den Weg, die knapp 5 Kilometer der alten Straße hinter uns zu bringen, um durch das große Tor in den kleinen Garten mit der  Stelle zu kommen, an dem Paulus auf seiner Reise durch Griechenland genau jene Lydia als erste Christin auf europäischem Boden zu taufen. Einer Frau kam diese Ehre zu Gute, sich dort unten an dem kleinen Fluss taufen zu lassen.

Noch heute zeugen Marmorplatten und ein winziges Kapellchen vom einstigen Glanz dieser Stätte. Stille weit und breit um uns herum, während wir den kleinen Eingang passieren. Niemand sitzt dort und verlangt einen Eintrittspreis. Niemand! Als ein Mitarbeiter herbeieilt und ich ihn nach dem Eintrittspreis frage, winkt er ab. Hier an dieser so wichtigen Stelle des Christentums würde man keinen Eintritt verlangen. Jeder, wirklich jeder, soll einen freien Eintritt haben. Tränen füllten meine Augen, wie Recht er hatte, mit dem, was er sagte. Es geht nicht um Kommerz, es geht darum, was hier passierte.

Als wir uns der neu errichteten Taufkirche nähern, in der seit vielen Jahren Kinder getauft werden, hören wir Gospelgesänge, die derart die Umgebung mit füllen, dass einem warm ums Herz wird. Eine Reisegruppe Brasilianer tritt in die Kirche und bestaunt die bunten Fenstermosaike, sie bekreuzigen sich, flüstern oder beten.

Auf der anderen Seite an dem kleinen Fluss stehen offensichtlich Menschen aus Afrika, die immer noch singen und Gott huldigen, während an dem kleinen Kapelle ein Pfarrer steht. Offenbar wurde hier soeben jemand getauft. Ich bin sehr ergriffen von diesen Bildern, von diesen Gesängen und Gebeten um mich herum. Diese Stätte ist völlig frei von Vorurteilen. Ja, sogar von den Unterschieden der jeweiligen Kirchen. Ich wünschte, es würde mehr Menschen und Völker auf dieser Welt geben, die offen, frei und vor allem nicht von der Idee besessen sind, anderen ihren Glauben aufzwingen zu wollen. In diesen wenigen Minuten dieses unsagbaren Friedens fernab von Glaubensfragen, spürte ich einen leichten Wind, als ob auch Engel für wenige Augenblicken ihren Himmel verlassen hätten.

Wir hatten unseren Sohn auch hier taufen lassen. Dass dieser Ort jemals Weltkulturerbe sein würde, wussten wir natürlich damals nicht.